Das Protokoll IEC 60870-5-101 (auch bekannt unter der Bezeichnung IEC 870-5-101) ist ein internationaler Standard und wurde Anfang
der 90er Jahre von IEC (International
Electrotechnical Comission) freigegeben. Das Protokoll fand eine weite
Verbreitung im Energieversorgungsbereich und wird heute noch sehr häufig
eingesetzt. Es basiert auf der so genannten EPA-Architektur (Enhanced
Performance Architecture) und definiert entsprechend dem OSI-Schichtenmodell
lediglich die Bitübertragungsschicht, Sicherungsschicht und Anwendungsschicht.
IEC 60870-5-101 wird hauptsächlich auf relativ langsamen Übertragungsmedien
unter Benutzung der asynchronen V.24-Schnittstelle eingesetzt. Die Norm spricht
hier von Baudraten bis 9600, wobei in der Praxis auch erheblich höhere Baudraten
(< 115200) zum Einsatz kommen. Der in der Norm ebenfalls definierte Einsatz der
X.24/X.27-Schnittstelle mit Baudraten bis zu 64000 bit/s hat sich in der Praxis
nicht durchgesetzt und findet kaum Verwendung.
Die Norm IEC 60870-5-101 ist ein "Companion Standard" und wird durch folgende
weitere Normen ergänzt:
- IEC 60870-5-1
Hier werden unterschiedliche Frameformate definiert, wobei bei IEC 60870-5-101
lediglich das Format FT1.2 zum Einsatz kommt
- IEC 60870-5-2
definiert die Übertragungsverfahren der Sicherungsschicht
- IEC 60870-5-3
beschreibt den grundsätzlichen Aufbau der Anwenderdaten
- IEC 60870-5-4
definiert die Kodierung von Informationselementen
- IEC 60870-5-5
beschreibt grundlegende Funktionen der Anwendungsschicht
- IEC TS 60870-5-601
beschreibt die "Conformance Test Cases" für IEC 60870-5-101
Die Norm IEC 60870-5-101 wurde im Jahr 2001 durch das Amendment 2 wesentlich
erweitert und präzisiert.
Die Interoperabilität zwischen Geräten unterschiedlicher Hersteller wird
mittels der so genannten "Interoperability" Liste, deren Aufbau in der Norm
definiert ist, sichergestellt. Hier wird für jedes Gerät durch Ankreuzen der
Funktionsumfang festgelegt. Die Schnittmenge zwischen den Listen verschiedener
Hersteller begrenzt den möglichen Funktionsumfang.
Die ursprüngliche Norm ließ sehr viel Interpretationsspielraum. Dadurch
existierten und existieren sehr viele Implementierungen auf unterschiedlichsten
Geräten, die nicht unbedingt zueinander kompatibel sind. Um hier Abhilfe zu
schaffen, haben große Energiekonzerne (z. B. RWE, Bayernwerke (E.ON)) eigene
Standards basierend auf der IEC 60870-5-101 Norm entwickelt. Besonders weite
Verbreitung fand im skandinavischen Raum die
"Norwegian IEC 870-5-101 User Convention", die insbesondere die Linienredundanz regelt.
Im Jahr 2006 ist zusätzlich die (längst fällige) technische Spezifikation IEC
TS 60870-5-601 erschienen, die detailliert die zur Konformität mit IEC 60870-5-101
erforderlichen Testfälle beschreibt.
Ein großer Vorteil von IEC 60870-5-101 ist die Robustheit der Sicherungsschicht
und die einfache Struktur der Anwendungsschicht. Der Fokus wurde bei der
Definition auf die Performance gelegt, wodurch gewisse Informationen, die zur
Dekodierung der Daten erforderlich sind, nicht übertragen werden. Die
Dekodierung der Daten ist nur bei richtig eingestellten Parametern möglich, wie
Größe der Informationsobjektadresse, Größe der ASDU Adresse etc. In der Praxis
ist der Abgleich von Parametern zwischen Komponenten mit Hilfe der Interoperability-Liste leicht möglich und stellt
kein großes Problem dar.
Nachteilig wirken sich oft die Lücken in der Definition des Protokolls aus.
Besonders im Bezug auf die Linienredundanz existieren viele verschiedene
Implementierungen. Hier sind projektbezogene Klärungen erforderlich.
Neben den Standardprotokollfunktionen bietet IEC 60870-5-101
Erweiterungsmöglichkeiten für proprietäre, herstellerspezifische Funktionen.
Obwohl davon nicht allzu häufig Gebrauch gemacht wird, besteht hier immer eine
Gefahr von Inkompatibilität.